mardi 28 octobre 2003, par Denz Martin D.
Gesundheitsökonomische Anforderungen bringen die Ärztinnen und Ärzte in einen Konflikt mit ihrem verinnerlichten Rollen-Selbstverständnis als "Anwälte" der Patienten. In einem Morschacher Workshop wurden Wege erkennbar, wie die Rolle des Arztes neu gedacht werden könnte.
MARTIN D. DENZ
er Wandel im Zeitalter von Managed Care lässt sich wohl kaum irgendwo eindrücklicher nachvollziehen als am veränderten Arztbild - am Wandel sowohl des ärztlichen Selbstverständnisses als auch der Erwartungen der Gesellschaft.
Gemäss dem amerikanischen Soziologen Parsons (1) beinhaltet die klassische Rolle des Arztes : n fachliche Kompetenz, n eine allparteiliche Haltung, n die Bereitschaft, den Patienten zu respektieren und sich auf den gestellten Auftrag zu beschränken, n affektive Neutralität, n Ausrichtung auf das Wohl der Gemeinschaft.
Diese Fähigkeiten und Haltungen bilden die Grundlage für eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung. Aus diesem idealtypischen Selbstverständnis heraus entwickelte sich das archetypische Bild des "guten" Haus- und Familienarztes. Dieser allumfassende und allwissende Einzelkämpfer wollte kein "Halbgott in Weiss" werden, sein Denken und Handeln leitete sich vielmehr aus dem Anspruch ab, "Anwalt" seiner Patienten zu sein. Diese individuumzentrierte Perspektive prägte bisher die Sozialisation der Ärzte, egal ob Allgemeinpraktikerin, Spitalarzt oder Spezialistin. Dies erklärt auch, weshalb sich beispielsweise Versicherungsmediziner immer wieder Anfeindungen ausgesetzt sahen : Es wurde ihnen "Söldnertum" unterstellt.
... zu neuen Rollenerwartungen Seitdem gesundheitsökonomische Aspekte zunehmend an Bedeutung gewinnen, sind die Ärzte neuen Erwartungen ausgesetzt : Plötzlich ist der Patient nicht mehr das Mass aller Dinge. Die Kostensteigerung zwingt die Ärzte, das eigene Handeln an "berufsfremden " ökonomischen Denkkategorien wie Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu messen. Die verinnerlichte Idealrolle, welche den Arzt nicht zuletzt auch die berufsbedingten Belastungen in Kauf nehmen liess, gerät in einen Konflikt mit der gesundheitspolitischen Realität, welche die ärztliche Handlungsfreiheit aus ökonomischen Gründen einschränkt.
Aus der patientenzentrierten Perspektive heraus mussten erste Modelle der Zusammenarbeit mit Versicherern, zum Beispiel HMOs, unweigerlich als "Kollaboration mit dem Feinde" erlebt werden. Erst neuere Modelle wie die Hausarztmodelle erlauben es zumindest den Grundversorgern, wieder in Einklang mit dem ärztlichen Rollen- Selbstverständnis zu kommen. Nach einer jahrzehntelangen Durststrecke der Entwertung infolge Überbetonung technischer Spitzenleistungen im Spitalsektor eröffnet sich für sie eine neue Rolle als "Gatekeeper". Diese Rolle entspricht nicht nur einer Aufwertung im gesundheitspolitischen Kontext, sondern ist besonders deshalb attraktiv, weil sie sich wieder mit der Rolle des "Patientenanwalts " vereinbaren lässt ! Dies ist eine Chance, beinhaltet aber auch die Gefahr von "altem Wein in neuen Schläuchen". Der Rollenwandel bietet die Möglichkeit umzudenken und neue Perspektiven der Arztrolle zu entwickeln.
Im Workshop "Rolle des Arztes" entstand in anderthalb Stunden ein "Mikrokosmos", in dem die oben skizzierten Rollenentwicklungen nachvollzogen und konkrete Handlungsanweisungen entwickelt werden konnten.
Alle Mitwirkenden (mehrheitlich Allgemeinpraktiker und niedergelassene Ärzte anderer Fachrichtungen, aber auch Spitalärzte verschiedener Disziplinen, Apotheker und Industrievertreter) waren sich initial darüber einig, dass im Zentrum des ärztlichen Handelns die Arzt-Patient- Beziehung steht. Konsens bestand auch darüber, dass sich diese Zweierbeziehung von einem hierarchischen Verhältnis zu einer partnerschaftlichen Kooperation weiterentwickelt hat ; zumindest wären mündige Patienten für die Ärzte wünschenswert. In der folgenden Diskussion wurden nacheinander die weiteren Mitspieler im Gesundheitssystem eingeführt, bis schliesslich Arzt und Patient in ihrer Zweierbeziehung von anderen Praktikern, Spezialisten, Psycho- und paramedizinischen Therapeuten, Spitex, Spitälern, Apotheken, Krankenversicherern, aber auch Arbeitgebern, Familie und sozialem Umfeld und sogar von Staat und Medien umringt waren.
Die graphische Darstellung dieser Konstellation ergab ein Vieleck an Kooperationsmöglichkeiten (siehe Abbildung 1). Erst nach vehementem Protest und intensiver Überzeugungsarbeit von Spitalärzten und Psychiatern anerkannten die Grundversorger, dass im Zentrum der Abbildung nicht allein sie mit ihren Patienten stehen, sondern dass auch andere Ärzte Anspruch auf die Patientenbeziehung erheben. Aus systemischer Sicht, so die Schlussfolgerung, stellt das Vieleck eigentlich eine mehrdimensionale Vernetzung dar : Zwar steht nach wie vor der Beziehungsaspekt im Zentrum, er bezieht sich aber auf alle Beteiligten im Gesundheitswesen ; innerhalb dieses Netzwerks bieten sich wechselseitige Kooperationen an : "Das Modell des Einzelkämpfertums ist überholt - es geht heutzutage nur noch miteinander. "
Welches sind nun die Ziele dieser
Entwicklung, und welche Schritte
führen in die anzustrebende Richtung ?
Die Workshop-Gruppe fand
dazu sechs "Ko"s :
Alle Beteiligten an der Weiterentwicklung
des Gesundheitswesens
sollten sich der KOMPLEXITÄT
sowohl der Probleme als auch der
Lösungen bewusst sein (Qualitätssicherung,
ökonomische Zusammenhänge,
Konzepte der Organisationsentwicklung
und so weiter). Diese
systemische Komplexität muss laufend
an alle Mitspieler weitervermittelt
werden, zum Beispiel im Rahmen
von Qualitätszirkeln und an
Fortbildungsveranstaltungen. Dazu
gehört auch das offene Bekenntnis
zur Unterstützung des Managed-
Care-Gedankens im Sinne eines
"Coming-outs".
Dies alles ist nur möglich durch
KOMMUNIKATION innerhalb der
Ärzteschaft, aber auch durch Information
aller anderen Mitwirkenden
im Gesundheitswesen, nicht zuletzt
der Bevölkerung. Zu diesem Zweck
muss ein professioneller Umgang
mit den Medien und mit modernen
Informations- und Kommunikationstechnologien
erlernt werden.
Dies bedingt neue Organisationsstrukturen,
aber auch eine Studienreform
mit sozialer und kommunikativer
Kompetenz als neuem
Ausbildungsschwerpunkt. Dies soll
das gegenseitige Verständnis aller
Beteiligten im Gesundheitswesen
fördern, neue Formen der interdisziplinären
KOOPERATION eröffnen
und KONKRETE SCHRITTE ermöglichen.
Schliesslich sollten die
Veränderungen einer kritischen Erfolgs-
KONTROLLE unterzogen
werden - unter Berücksichtigung des
gesellschaftlichen KONTEXTES,
wobei besonderer Wert auf soziale
und ethische Aspekte gelegt werden
muss.
Obwohl die Workshop-Gruppe aus
Zeitgründen "in voller Fahrt abbremsen
" musste, hinterliess der Workshop
das Gefühl, die "Geburt der
neuen Arztrolle" miterlebt zu haben.
Der "Morschacher Geist" wird sicher
nicht verfliegen, sondern in der täglichen
Arbeit der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer weiterleben. n
Anschrift des Verfassers :
DR. MED. MARTIN D. DENZ Abteilung Evaluation und Medizinische Informatik AEI Psychiatrische Universitätsklinik Zürich Lenggstrasse 31, CH-8029 Zürich Literatur : 1. Parsons T. : The social system. London : Routledge & Kegan 1951